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Während Fertigungsprozesse oftmals effizienzseitig ausgereizt sind, herrscht bei der Optimierung des Materialflusses noch Nachholbedarf. Der steigende Kostendruck zeigt hohe Potenziale der Intralogistik, die es noch zu heben gilt.

Ein plakatives Beispiel dafür, wie sich die Materialversorgung gerade mit großen Bauteilen optimieren lassen kann, bieten in der Automobilfertigung besonders die Presswerke.
Die Intralogistikspezialisten von Vollert sind im Presswerk von Mercedes-Benz am Standort Bremen bereits seit den 1990er Jahren aktiv. Zunächst lieferten die Weinsberger eine Hochregalanlage. Es folgten ein Coil-Hochregallager (HRL) sowie weitere Intralogistiksysteme zur vollautomatisierten Materialversorgung der Pressen. Im Juli meldete das Unternehmen nun ein aktuelles Projekt zur Blechplatinenlagerung am norddeutschen Standort des Autobauers. Als Generalunternehmer lieferte und installierte Vollert die Anlagentechnik vor und nach der Presse zur vollautomatisierten Lagerung und An- und Abdienung der tonnenschweren Blechplatinenladungsträger und der Pressteilegestelle. Lastumsetzer, Hubwagen und ein fahrerloses Transportfahrzeug (FTS) sollen für die reibungslose Verkettung bis hin zur Abnahme der fertigen Bauteile am Ende der Presslinie sorgen.

In Bremen können die Blechplatinen in verschiedenen Größen und Stärken bis zu einem Gewicht von 20 Tonnen gestapelt werden. Das Intralogistiksystem stellt die leeren Ladungsträger zur Aufstapelung der Platinen an einer Schnittstelle bereit. Im Umlauf sind Ladungsträger in zwei Größen, die einzeln oder paarweise über einen Verschiebewagen und ein Hubwagen-Paar zum Hochregallager transportiert werden. Zentrierstationen und Lagekontrollen tragen zur korrekten Ausrichtung der Ladungsträger im Umlauf bei. Ein Regalbediengerät lagert die Stapel vollautomatisch im Hochregallager ein und stellt sie im nächsten Schritt auf Anforderung zur Andienung an die neue Presslinie wieder bereit. Das HRL verfügt als Zwischenpuffer über 135 Regalplätze beziehungsweise 270 für kleinere Paletten, die Gesamtkapazität beträgt 2700 Tonnen. Ein Lastumsetzer mit Greifer entlädt das FTS, versorgt die Presse und holt leere Ladungsträger zum Rücktransport ins Hochregallager. Wie die Anlagenbauer betonen, stand im Zuge der Neuinstallation im Werk Bremen auch die Anpassung der Leistungsfähigkeit der bestehenden Systeme auf dem Plan. Das Regalbediengerät aus dem Jahr 2012 wurde durch ein Spezialistenteam aufgerüstet, wodurch man die Leistung, Hub- und Fahrgeschwindigkeit erhöhen konnte. Lediglich sechs Monate nach Auftragsvergabe habe man die ersten Vorarbeiten zur Anbindung der neuen Anlagen an die bestehende Intralogistik abgeschlossen, schildert Patrick Schulz, Projektleiter von Vollert, und betont: „Denn nur mit funktionierender Intralogistik kann eine Presslinie geprüft und in Betrieb genommen werden.“

Zahlreiche Zulieferbetriebe sähen sich einem immer höheren Kosten- und Innovationsdruck ausgesetzt, weiß man bei Mobile Industrial Robots (MiR). Laut den Experten für autonome, kollaborierende mobile Roboter für den innerbetrieblichen Transport setzen viele Zulieferer zur Verbesserung der Kosteneffizienz bei gleichzeitig hochwertiger Produktion auf automatisierte Prozesse, auch in ihrer Intralogistik. Das Unternehmen mit Stammsitz in Dänemark kann auf zahlreiche aktuelle Beispiele verweisen, wie es insbesondere bei den mit teilweise komplexen Produkten hantierenden Suppliern zu verbessertem Materialfluss beiträgt. Dazu zählt eine strategische Kooperation mit dem Interieur-Experten Faurecia, der in elf seiner Werke nun mobile Roboter der Modelle MiR100 und MiR200 einsetzt. Die nach ihren Traglasten in Kilogramm benannten Systeme können mehr als nur Waren transportieren. Wie die Roboterexperten betonen, genüge es bei der Inbetriebnahme eines MiR-Roboters, ihn die Umgebung einmal abfahren zu lassen, damit er sie kartieren könne. Anschließend finde er sich mit seinen leistungsstarken Sensoren selbst darin zurecht und sei nicht auf Magnetstreifen oder Schienen angewiesen. Teure Umbauten der Gebäudeinfrastruktur können demnach ausbleiben. Bei Faurecia optimieren die Systeme der Dänen die intralogistischen Abläufe, indem sie Werksmitarbeitern repetitive Transporte abnehmen und zu einem reibungslosen Materialfluss beitragen. So werde die Effizienz der gesamten Produktionslinie gesteigert, sagt Eric Moreau, Vice President Supply Chain & Digital Enterprise der Faurecia Clean Mobility Business Group. Beim Zulieferer Nidec GPM, Teil des japanischen Nidec-Konzerns, entstehen in Thüringen Pumpenlösungen für Automobilmotoren. Auch bei dem einstigen Familienunternehmen stand der Materialfluss auf dem Prüfstand. Die zu lösende Aufgabe erläutert Andreas Vogt, stellvertretender Leiter der Produktion und Lean-Experte bei Nidec GPM: „Damals stand in der Regel viel zu viel Material an den Montagelinien – und das kostet natürlich unnötig Geld.“ Mit dem Hängersystem MiRHook versorgen die autonom navigierenden Roboter die Mitarbeiter an den Anlagen mit Ölpumpendeckeln, Wasserpumpenlagern oder Antriebswellen – genau in dem Moment und in der Menge, die gerade benötigt werde. Früher habe dies ein Logistiker erledigt. Mit der Just-in-Time-Belieferung durch die mobilen Roboter könne das Unternehmen seine Bestände optimieren und die Lagerkosten senken, hört man von MiR. Bei Nidec kommen dazu drei mobile Transportroboter vom Modell MiR100 zur Verbesserung des internen Materialflusses im Werk zum Einsatz, die die Ressourcen einer Vollzeitkraft einsparen.

Als drittes Beispiel dafür, wie mobile Robotik Automobilzulieferern Vorteile erschließen könne, verweist MiR auf sein Engagement bei Visteon Electronics. An dessen Produktionsstandort im slowakischen Námestovo übernehmen mittlerweile vier MiR200-Roboter verschiedene Transportgänge. Zwei von ihnen versorgen automatisierte Fertigungsstrecken für Oberflächenmontagetechnik mit Leiterplatten, die dort weiterverarbeitet werden. Der dritte Roboter sammelt Abfälle ein, während der vierte Spritzgussanlagen mit Material beliefert und die fertigen Plastikkomponenten abholt. „Indem wir solche monotonen Tätigkeiten an die Roboter delegieren, entlasten wir unsere Mitarbeiter“, erklärt Richard Ciernik, Manager Industrial Engineering bei Visteon. „Sie profitieren davon, dass die Roboter ihnen das Material direkt an den Arbeitsplatz bringen, so dass ihnen ergonomisch ungünstige Bewegungen erspart bleiben.“ Einen Auftrag zur umfangreichen Erneuerung seiner Intralogistik hat der Sitzhersteller Recaro Automotive Seating den Experten für Intralogistik und Prozessverkettung von Montratec erteilt. Wie Recaro kürzlich mitteilte, nutze man als erster Hersteller in der Autositzproduktion das Schienen- und Transportshuttle-System Montrac. Das System mit intelligenter Steuerung mache die Einführung von Intralogistik 4.0 in der Produktion möglich, sagt Ulrich J. Severin, General Manager Recaro Automotive Seating. „Unsere neue Intralogistiklösung integriert eine durchgängige ERP-Systemanbindung, wodurch ein vollständiges Datentracking und eine maximale Transparenz aller Prozesse in der Produktion realisiert werden.“ Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem verzweigten Monoschienensystem: Die Sitze werden darauf mithilfe von autonom gesteuerten Transport shuttles zu Arbeitsstationen gefahren, komplett bearbeitet und fertiggestellt. Zum Einsatz werde auch der Shuttle Carrier kommen, der die Arbeitsplätze ohne Schienen verbinde, hört man von den Sitzexperten. Das Monoschienennetz kann damit unterbrochen werden, um etwa Gänge für Mitarbeiter zu schaffen, ohne den Produktionsprozess zu beeinträchtigen. Dank der dezentralen intelligenten Steuerung sei jedem Transportshuttle das Ziel bekannt und es komme genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort an, betonen die Recaro-Experten. Dies ermögliche einen optimalen Ablauf mit minimalen Zykluszeiten, um entlang der Produktionskennzahlen günstiger, schneller und sicherer zu produzieren. Die in jedem Shuttle integrierte Sensortechnologie überwacht sowohl die Fahrstrecke als auch den Bereich neben der Schiene. Dies ermöglicht laut Recaro einen stoßfreien Transport und maximale Sicherheit. Eine Einhausung der Anlage könne somit entfallen.

Redakteure: Götz Fuchslocher, Christian Klein
Quelle: www.automobil-produktion.de

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